Das Finanzamt als Profiteur von Anlagebetrügern auf Kosten der Opfer?

So absurd diese Fragestellung zunächst klingen mag, es ist leider nicht abwegig.

Der (vereinfacht dargestellte) Fall: Der inzwischen zu mehr als 9 Jahren Freiheitsstrafe verurteilte B betrieb nach Art eines Schneeballsystems einen Anlagebetrug in großem Stil. Die frei erfundene Behauptung des B ging dahin, er habe Zugang zu verbilligten Mitarbeiteraktien und würde diese – gegen eine Gebühr – an Anleger weitergeben, damit die Anleger  nach einer gewissen Haltezeit hiermit Erträge von mindestens 10 % pro Quartal erzielen können. Mehrere hundert Anleger gingen auf dieses weit vertriebene Angebot ein und so sammelte B über Jahre hinweg Vermögenswerte im dreistelligen Millionenbereich ein. Aktien wurden selbstverständlich nie erworben. Soweit scheinbar erzielte Kapitalerträge ausbezahlt wurden, erfolgte dies mit Geldern neu geworbener Anleger.

So fiel auch der Mandant auf diesen Betrug herein und zahlte an die Firma des B im Januar 2011 ca. € 100.000,- um Aktien zu erwerben. Mittels gefälschter Depotauszüge der Deutschen Bank wurde ihm der Aktienkauf auch bestätigt. Im September 2012 erfolgte sodann eine scheinbare Abrechnung dieser Anlage nach Verkauf der Aktien. B spiegelte dem Mandanten  vor, seine Aktien seien für fast € 240.000,- verkauft worden. Auch dies wurde mit gefälschten Unterlagen der Deutschen Bank unterlegt. Hiervon habe B zunächst 25 % Kaptalertragsteuer sowie Solidaritätszuschlag an das Finanzamt abgeführt. Abzüglich der Provision für B (4,5 %) sowie weiterer Bankspesen (2,0 %) sei aus der Anlage insgesamt ein Erlös von ca. € 90.000 erwirtschaftet worden. B überredete den Mandanten dieses Geld doch gleich wieder anzulegen, was auch – nach gleichem Muster – geschah.
Anfang des Jahres 2013 wurde B verhaftet und das ganze System brach zusammen. Forderungen gegen B von ca € 200 Mio. steht ein Vermögen – bestehend vor allem aus teuren Luxuslimousinen des B – von ca € 4 Mio. gegenüber.

Die Rechtslage: Der Bundesfinanzhof hat in einer Entscheidung aus dem Jahr 2014 (Az VIII R 25/12) erneut bestätigt, dass Scheinrenditen eines Schneeballsystems grundsätzlich steuerpflichtig sind, während der Totalverlust des Kapitals grundsätzlich nicht als Verlust steuerlich geltend gemacht werden kann. Dies gilt jedenfalls dann, wenn das Schneeballsystem noch funktioniert, also mindestens teilweise auch Scheinrenditen mit Geldern der neuen Opfer ausbezahlt werden. Die scheinbare „Neuanlage“ des Kapitals und der Rendite stelle dann nichts anderes dar, wie eine Auszahlung  und eine Neuanlage dieses Gesamtbetrages, was letztlich zu steuerbaren Zuflüssen im Bereich des Kapitalvermögens führe. Entscheidend ist hier der Begriff des „Zuflusses“ bei dem geprellten Anleger. Nicht zugeflossen ist der Ertrag nämlich dann, wenn der Betrüger zum Zeitpunkt der scheinbaren Abrechnung weder in der Lage, noch bereit war das Kapital auszuzahlen, also etwa auf einen Auszahlungswunsch hin Anstrengungen unternimmt eine tatsächliche Auszahlung zu unterbinden. Hier wiederum kommt es auf den Einzelfall an, welche Voraussetzungen an den Auszahlungswunsch des Opfers zu stellen sind. Ebenfalls im Jahr 2014 hat der BFH z.B. entschieden, dass es nicht erheblich ist in welchem Umfang der Anleger Bemühungen entfaltet, um seinen Auszahlungswunsch durchzusetzen, sondern wie der Betreiber des Schneeballsystems auf den Auszahlungswunsch reagiert (Az VIII R 38/13).

Das Landesamt für Steuern in Bayern hat zu dem konkreten Fall inzwischen Folgendes ausgeführt:

„Den Anlegern eines Schneeballsystems wurden auf vorgeblichen Depotauszügen fingierte Wertpapiergeschäfte sowie der Einbehalt von Steuerabzugsbeträgen (Kapitlertragsteuer und Solidaritätszuschlag) vorgetäuscht.Nach der Rechtsprechung des BFH können auch Scheinrenditen – d.h. Renditen, die den Anlegern bescheinigt, tatsächlich jedoch nicht erzielt worden sind – zu steuerbaren Einnahmen führen (BFH-Urteil vom 22.07.1992, BStBt ll S. 755 ff).

Für die steuerrechtliche Qualifizierung von Scheinrenditen ist maßgeblich, wie sich das vorgetäuschte Rechtsgeschäft aus Sicht des Kapitalanlegers bei objektiver Betrachtung darstellt (BFH-Urteil vom 14.12.2004, BStBt2005 II S. 746).

Maßgeblich für die Qualifizierung der Einnahmen sind somit der zu Grunde liegende Vertrag sowie die Mitteilungen des Unternehmens an den Kapitalanleger. Soweit dem Anleger demnach in seinem Namen getätigte Aktienveräußerungsgeschäfte vorgetäuscht wurden, sind ihm daraus tatsächlich oder im Wege der Novation zugeflossene Scheinrenditen auch zuzurechnen. 

Da ab dem Veranlagungszeitraum 2009 die Einkommensteuer für Kapitalerträge im Sinne des § 20 EStG, soweit sie der Kapitalertragsteuer unterlegen haben, mit dem Steuerabzug abgegolten ist, stellt sich die Frage, ob § 43 Abs. 5 EStG einem Ansatz der Scheinrenditen im Rahmen der Veranlagung entgegensteht.

§ 43 Abs. 5 EStG bildet die zentrale Vorschrift für die grundsätzliche Abgeltungswirkung der Kapitalertragsteuer. Diese tritt jedoch nur insoweit ein, als die Erträge der Höhe nach dem Steuerabzug tatsächlich unterlegen haben (BT-Drs. 17/2249 s. 92).Durch den schlichten Ausweis von Kapitalertragsteuer und Solidarítätszuschlag auf einem fingierten Depotauszug ist keine Abgeltungswirkung i.S.d. § 43 Abs. 5 Satz 1 EStG eingetreten, da die in Rede stehenden Kapitalerträge nicht tatsächlich dem Kapitalertragssteuerabzug unterlegen haben.Die Anlegerperspektive, d.h. wie sich das vorgetäuschte Rechtsgeschäft aus Sicht des Kapitalanlegers bei objektiver Betrachtung darstellt, gilt nicht auf Ebene des Kapitalertragsteuerabzugs, sondern lediglich für die Frage der Einkünftequalifikation.Auf Ebene des Kapitalertragsteuerabzugs, d.h. für die Frage der Anrechnung der Kapitalertragsteuer und für die Frage, ob.Abgeltungswirkung eingetreten ist und daher eine Erklärung der Kapitalerträge unterbleiben kann, ist auf die tatsächlichen Verhältnisse abzustellen.

lm vorlíegenden Fall unterlagen die Kapitalerträge nicht tatsächlich dem Kapitalertragsteuerabzug, so dass diese im Rahmen der Einkommensteuererklärung anzugeben sind, § 32 d Abs. 3 Satz 1 EStG. Es handelt sich insoweit um eine Pflichtveranlagung.“

Es ist schon wenig konsequent, bei der Frage der Einkünftequalifikation auf die Anlegerperspektive, bei der Frage der Abgeltungswirkung der einbehaltenen Kapitalerstragsteuer aber auf die objektiven Verhältnisse abzustellen.

Schuldner der Kapitalertragsteuer ist zwar gem. § 44 Abs. 1 S. 1 EStG grundsätzlich der Gläubiger der Kapitalerträge (hier also der Anleger), allerdings verkennt das Zentralamt für Steuern, dass der Gläubiger der Kapitalerträge für die Kapitalertragsteuer gem. § 44 Abs. 5 S. 2 EStG in unserem Fall nur dann in Anspruch genommen werden kann, wenn er weiß, dass die einbehaltene Kapitalertragsteuer nicht abgeführt wird und er dies dem zuständigen Finanzamt nicht mitteilt. Dies ist bei Opfern von Anlagebetrügern, wenn auf den Abrechnungen der entsprechende Einbehalt ausgewiesen wurde, regelmäßig nicht der Fall.

Selbst wenn man dieser Rechtsauffassung nicht folgt, wäre selbstverständlich an einen Antrag auf geänderte Steuerfestsetzung gem. § 163 AO oder einen Erlassantrag gem. § 227 AO zu denken.

Andreas Liebers LL.M.
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Strafrecht
Master of Laws (Steuerwissenschaften)

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