Die Steuerfahndung und der Generalverdacht

Strafverteidiger kennen die Tendenz von Steuerfahndungsstellen, sich häufig mit ganzen Berufsgruppen zu befassen, die mehr oder weniger pauschal dem Verdacht der Steuerhinterziehung ausgesetzt sind.

So sind nahezu bundesweit Taxiunternehmen ebenso Gegenstand strafrechtlicher Ermittlungen geworden, wie Friseurbetriebe, Apotheker oder andere Branchen, die ebenfalls überwiegend Bargeldgeschäfte tätigen. Unabhängig davon steht die Gastronomie ohnehin ständig unter Generalverdacht.

Immer wieder stellt sich daher die Frage, wie konkret Anhaltspunkte für das Vorliegen von Verdachtsmomenten denn sein müssen, damit die Steuerfahndung überhaupt tätig werden darf.

Zunächst ist eine Steuerfahndungsstelle eine Strafverfolgungsbehörde und insofern auch an die Strafprozessordnung gebunden. Hiernach sind Ermittlungsmaßnahmen dann zulässig, wenn „zureichende tatsächliche Anhaltspunkte“ (§ 152 StPO) für das Vorliegen einer Straftat gegeben sind. Diese Definition umschreibt den strafprozessualen Anfangsverdacht, dessen Inhalt und Umfang in der Rechtsprechung weitgehend geklärt ist. Hiernach müssen vor allem konkrete Tatsachen vorliegen, die auf die Begehung einer verfolgbaren Straftat hindeuten.

Nicht ausreichend sind also vermeintlich allgemeine Erfahrungssätze dahingehend, dass beispielsweise Gastronomen grundsätzlich nicht sämtliche Einkünfte der Besteuerung unterwerfen. Konkrete Anhaltspunkte wären beispielsweise das Auffinden von „Schwarzrechnungen“ im Rahmen einer steuerlichen Betriebsprüfung. Hier kann durchaus aus der Verschleierung des Wareneinkaufes der Verdacht hergeleitet werden, dass auch die Umsatzerlöse nicht vollständig aufgezeichnet wurden.

Steuerlich betrachtet gehen die Aufgaben der Steuerfahndung jedoch über die Erforschung von Steuerstraftaten und Steuerordnungswidrigkeiten (§ 208 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO) hinaus. Gemäß § 208 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AO hat die Steuerfahndung insbesondere auch die Aufgabe, unbekannte Steuerfälle aufzudecken und zu ermitteln. Dies geschieht vor dem Hintergrund, dass die Steuerfahndung eben nicht nur eine reine Strafverfolgungsbehörde, sondern auch eine allgemeine Finanzbehörde darstellt.

Dieser durch die Abgabenordnung definierten Aufgabenstellung folgt zwingend die Befugnis der Steuerfahndung, zur Aufdeckung unbekannter Steuerfälle auch ermittelnd tätig zu werden. Diese sogenannten Vorfeldermittlungen setzen nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes einen unterhalb des strafrechtlichen Anfangsverdachts liegenden hinreichenden Anlass voraus. Hier reicht es aus, wenn aufgrund „allgemeiner Erfahrungen“ die Möglichkeit einer Steuerhinterziehung in Betracht kommt. Diese vom Bundesfinanzhof gewählte Formulierung macht deutlich, wie wenig Einschränkungen der Bundesfinanzhof den Steuerfahndungsstellen in diesem Bereich auferlegt. Lediglich Ermittlungen „ins Blaue hinein“ bleiben nach wie vor unzulässig.

Ein erst jüngst ergangenes Urteil des Bundesfinanzhofes (Urteil vom 12.05.2016, II R 17/14) macht deutlich, wie die Steuerfahndungsstellen mit diesen Befugnissen umgehen.

Hintergrund der Entscheidung war ein sogenanntes Sammelauskunftsersuchen der Steuerfahndung an ein Presseunternehmen. Ein Auskunftsersuchen richtet sich nach § 93 Abs. 1 AO. Danach haben auch andere Personen als die am Steuerverfahren Beteiligten der Finanzbehörde die zur Feststellung eines für die Besteuerung erheblichen Sachverhalts erforderlichen Auskünfte zu erteilen. Gedacht ist diese Vorschrift für Auskunftsersuchen in einem konkreten Besteuerungsverfahren, etwa weil der Steuerpflichtige selbst eine erforderliche Auskunft über steuerlich relevante Sachverhalte nicht geben kann oder auch nicht geben will. Ein Sammelauskunftsersuchen dagegen, welches sich ebenfalls auf diese Norm stützt, richtet sich auch an einen unbeteiligten Dritten, betrifft aber eine Vielzahl von Auskünften bezüglich einer Vielzahl vermeintlich Steuerpflichtiger.

Im genannten Fall hat die Steuerfahndungsstelle dem Presseunternehmen aufgegeben, eine Aufstellung sämtlicher Personen- und Auftragsdaten aller Anzeigenauftraggeber für einen bestimmten Zeitraum abzugeben, „soweit die Anzeigen mit Betrieben und Personen des Rotlichtmilieus im Zusammenhang stehen“.

Begründet wurde dieses Auskunftsersuchen damit, dass zum einen der Bundesrechnungshof und der niedersächsische Landesrechnungshof Vollzugsdefizite bei der Besteuerung von Einnahmen und Einkünften von Betrieben und Personen des Rotlichtmilieus festgestellt hätten und zum anderen bisher durchgeführte Ermittlungen der Steuerverwaltung zu Auftraggebern von Annoncen, in denen sexuelle Dienstleistungen angeboten worden seien, nicht unerhebliche Steuernachzahlungen ergeben hätten.

Zweifellos würde keines dieser Argumente zur Begründung eines strafprozessualen Anfangsverdachts ausreichen.

Der Bundesfinanzhof hielt diese Begründung für das genannte Sammelauskunftsersuchen allerdings für ausreichend. Auch das Grundrecht der Pressefreiheit konnte im vorliegenden Fall nicht greifen, da die Pressefreiheit grundsätzlich nur für den redaktionellen und nicht für den Anzeigenteil einer Zeitung relevant ist.

Letztlich führt diese Konstellation allerdings dazu, dass Steuerfahndungsstellen mittels dieser steuerlichen Vorfeldermittlungen in die Lage versetzt werden, sich die konkreten Anhaltspunkte für das Vorliegen eines strafprozessualen Anfangsverdachts zu beschaffen.

Regelmäßig hat der BFH derartige Auskunftsersuchen allerdings für zulässig erachtet. Bestätigt wurde beispielsweise ein Sammelauskunftsersuchen an eBay, wonach alle Nutzer mit Wohn- oder Firmensitz in Niedersachsen, die in der Zeit von Januar 2007 bis Dezember 2009 für mehr als € 17.500,00 pro Jahr Verkäufe getätigt haben, benannt werden sollten (BFH 16.05.2013, Az. II R 15/12). Im Nachgang dieser Entscheidung gingen beispielsweise Steuerfahndungsstellen aus Nordrhein-Westfalen dazu über, Dienstleister, die Honorarkräfte im Ärztebereich vermitteln, mittels eines Sammelauskunftsersuchens zur Herausgabe aller Daten über das vermittelte Personal zu bewegen.

Bei Sachverhalten im Zusammenhang mit derartigen Sammelauskünften ist daher zum einen genauestens zu prüfen, ob diesem Auskunftsersuchen grundsätzlich nachgekommen werden muss oder ob das Auskunftsersuchen selbst anzufechten ist oder etwaige Auskunftsverweigerungsrechte zur Verfügung stehen. Zum anderen ist hinsichtlich der schließlich herausgegebenen Daten deren Verwertbarkeit zu prüfen, wenn diese Anlass zur strafprozessualen Ermittlungen geben sollen oder bereits gegeben haben. Insbesondere im letztgenannten Bereich, sind viele Rechtsfragen noch ungeklärt.

Andreas Liebers
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Strafrecht
Master of laws (Steuerwissenschaften)

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