„Cum ex“ – was ist das eigentlich?
Die rechtliche Bewertung dieses Konstruktes ist entgegen vieler Darstellungen vor allem in der Presse nach wie vor weitgehend offen. Zwar findet vor dem Landgericht Bonn derzeit (seit September 2019) das erste Hauptverfahren eines Strafgerichtes in dieser Sache statt, allerdings ist der Ausgang des Verfahrens offen und darüber hinaus davon auszugehen, dass entweder die Staatsanwaltschaft oder die Angeklagten Revision gegen das Urteil einlegen werden und der Bundesgerichtshof – in einigen Jahren – hierüber wird entscheiden müssen.
Auch der Bundesfinanzhof hat über diese Problematik noch nicht entschieden, wobei die Verfahrensdauer des Bundesfinanzhofes erfahrungsgemäß noch erheblich über der des Bundesgerichtshofes liegt.
Die jüngst erfolgte Inhaftierung eines Rechtsanwaltes, dem vorgeworfen wird mit Gefälligkeitsgutachten Beihilfe zur Steuerhinterziehung einer Bank geleistet zu haben, möchten wir zum Anlass nehmen ganz kursorisch und möglichst verständlich zu erläutern, um was es hier dem Grunde nach eigentlich geht. Die tatsächlich gewählten Gestaltungen sind zwar meist erheblich komplexer, können letztlich aber auf das hier beschriebene Grundkonstrukt zurückgeführt werden.
Wer eine Aktie eines Unternehmens erwirbt, erwirbt hiermit einen Teil des Unternehmens. Die Zeiten, als Aktien noch in Papierform existierten (sogenannte „effektive Stücke“) sind schon seit Jahren vorbei. Aktien werden elektronisch erworben und veräußert und bei Banken in Depots verwaltet.
Üblicherweise einmal im Jahr wird der Gewinn bzw. ein Teil des Gewinns des Unternehmens an die Eigentümer des Unternehmens, also die Aktionäre verteilt. Jeder Aktionär erhält den Gewinnanteil, dem sein Aktienanteil entspricht. Diesen Gewinnanteil nennt man „Dividende“.
Bei der Auszahlung dieser Dividende wurden allerdings von dem Unternehmen 25 % Kapitalertragsteuer einbehalten und für den Aktionär an das Finanzamt abgeführt. Das Unternehmen stellte dann dem Aktionär eine Bescheinigung aus, dass diese Kapitalertragsteuer für ihn abgeführt wurde.
Mit dieser Bescheinigung kann der Aktionär die Kapitalertragsteuer auf seine Einkommensteuer anrechnen lassen oder – wenn er nicht in Deutschland steuerpflichtig ist – sich diese Kapitalertragsteuer erstatten lassen.
Bis dorthin alles völlig unproblematisch. Die Kapitalertragsteuer wird einmal bezahlt und einmal angerechnet bzw. erstattet.
Jetzt kommen die sogenannten Leerverkäufe ins Spiel. Als „Leerverkauf“ bezeichnet man den Verkauf von Aktien, die man (noch) gar nicht hat. An sich ist das als Geschäftsmodell auch rechtlich unproblematisch und begann als Spekulationsgeschäft.
Wenn Herr A meint, dass eine Aktie in Zukunft an Wert verliert, verkauft er heute die Aktie zum aktuellen Preis an Frau B und vereinbart, dass er die Aktie in zwei Monaten liefert. Nach zwei Monaten muss Herr A dann die Aktien kaufen und an Frau B ausliefern. Verliert die Aktie in dieser Zeit tatsächlich an Wert, kann er sie günstiger kaufen als er sie bereits verkauft hat und erzielt dadurch einen Gewinn. Steigt die Aktie an Wert, erzielt Frau B den Gewinn, da sie die Aktie zu einem günstigeren Preis erworben hat. Wirtschaftlich betrachtet wird also fingiert, dass Frau B zum Zeitpunkt des Kaufes der Aktien auch tatsächlich schon Eigentümerin wurde.
Zum cum (mit) ex (ohne) Geschäft wird das ganze dann, wenn zwischen dem Leerverkauf (also dem Verkauf ohne in Besitz der Aktie zu sein) und dem Lieferdatum der Aktien der Tag liegt, an dem die Dividende ausbezahlt und die Kapitalertragsteuer abgeführt wird.
Wenn im oben genannten Beispiel Frau B weiß, dass das Unternehmen eine Dividende von 100 Euro pro Aktie bezahlt, dann weiß sie auch, dass die Aktie vor dem Dividendenstichtag 100 Euro wertvoller ist als hinterher.
Hat die Aktie z.B. einen Tag vor der Dividendenausschüttung einen Börsenwert (Kaufpreis) von 500 Euro – und zu diesem Preis hat Frau B die Aktie gekauft – dann kann Herr A sich die Aktie einen Tag nach der Dividendenausschüttung für 400 Euro bei Herrn C, der zum Dividendenstichtag Eigentümer von Aktien dieses Unternehmens ist, kaufen. Jetzt hätte Frau B dadurch einen absehbaren Verlust von 100 Euro erlitten. Damit das nicht eintritt, vereinbaren Harr A und Frau B, dass Herr A nicht nur die Aktie ausliefert, sondern auch eine quasi Schadenersatzzahlung in Höhe der Nettodividende leistet. Also in diesem Fall 100 Euro – 25 % Kapitalertragsteuer; also zahlt Herr A noch 75 Euro an Frau B.
Da Frau B aber zum Zeitpunkt der Auszahlung der Dividende wirtschaftlich betrachtet Eigentümerin der Aktien war, erhielt nicht nur Herr C als tatsächlicher Eigentümer, sondern auch Frau B als wirtschaftliche Eigentümerin eine Bescheinigung über die Einbehaltung und Abführung der Kapitalertragsteuer. Aus diesem Grund beträgt die Zahlung von Herrn A an Frau B auch nur 75 Euro.
Der Bundesfinanzhof hat sich zwar bislang noch nicht dazu geäußert, ob es doppeltes Eigentum an Aktien geben kann, aber schon 2014 (BFH, Urteil vom 16.4.2014, I R 2/12) wurde festgestellt, dass der Gesetzgeber davon ausgegangen ist, dass auch ein Leerkäufer (in unserem Fall Frau B) im Zeitpunkt des schuldrechtlichen Vertragsschlusses (Kaufvertrag) das wirtschaftliche Eigentum an den Aktien erwerben kann.
Bei einem cum ex Geschäft wurde daher eine Kapitalertragsteuer nur einmal einbehalten und abgeführt (bezahlt), während sie doppelt (bei Frau B und Herrn C) erstattet bzw. angerechnet wird. Dies soll nach Auffassung einiger Staatsanwaltschaften letztlich den Vorwurf ungerechtfertigter Steuervorteile (Steuerhinterziehung) begründen.
Wie die Gerichte entscheiden bleibt zunächst abzuwarten. Schon 2012 wurden allerdings die rechtlichen Rahmenbedingungen dahingehend geändert, dass diese cum ex Geschäfte nicht mehr durchgeführt werden können.
Andreas Liebers LL.M.
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Strafrecht
Master of Laws (Steuerwissenschaften)
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